2022. Schmuckkästchen mit doppeltem Boden


Merkur Starnberg, 26. September 2022, Nr.222

Schmuckkästchen mit doppeltem Boden

von FREIA OLIV

Die Starnberger Heilige und ihre Wirkung als Frau: Das hinterfragt die Künstlerin Yvonne Roeb zusammen mit der tradieren Sichtweise auf die Frau derzeit mit Ihrer Rauminstallation ECHO im Museum Starnberger See.

STARNBERG – Wer denkt bei einer Heiligenfigur schon an Weiblichkeit? An alle Facetten der Frauen und an ihre Rolle? Von Keuschheitsidealen bis Verführungskünste, von Schwächen und Stärken, von Unterdrückung und Emanzipation, von intimer Körperlichkeit und den Blicken von außen darauf? Im Museum Starnberger See kann man tief eintauchen in die gesellschaftliche und private Zone Frau. Der Berliner Künstlerin Yvonne Roeb (46) ist mit der Rauminstallation nicht nur ein vielschichtiges Reflektieren gelungen, sondern auch ein ganz besonderes Erlebnis.

Die ganze Kapelle, 1913 als Präsentationsraum eingebaut in das historische Lochmannhaus, wurde von Roeb mit Teppich ausgekleidet: Rosa, Sand und Lachs sind die Fragen, die zusammen mit dem weichen Tritt das Klischee der sanften Weiblichkeit vermitteln. Im Mittelpunkt schwebt die Starnberger Heilige. Prachtfigur mit nur lückenhaft dokumentierter Historie, 1755 geschaffen von IGNAZ GÜNTHER. Wie aus einem tiefblauen Himmel leuchtet die anmutige Skulptur durch eine vorgeblendete Umriss-Schablone aus ihrer samtenen Vertiefung in der Apsis heraus. Raummittig eine Adaption der Mandorla, eines Ganzkörper Heiligenscheins. Mit dieser Raute kann man einen Kristallschliff oder auch einen Glassarg assoziieren. Die Linienführung korrespondiert exakt mit dem Teppichmuster.

So weit, so wunderschön. Doch was soll das Stück Bein, das vom Eingang her in den Raum ragt? Nackt, lasziv wie ein Pin-up , erinnert es an plakative Pop Art – und hat auch genau die Sprengkraft. Es hinterfragt die lange tradierte Sichtweise auf die Frau und nimmt Bezug auf die Votivgaben im heidnischen und christlichen Kontext.

“Es war ein Riesenaufwand“, das alles so punktgenau rund um die unverrückbare Heiligenfigur einzubauen resümiert Museumsleiter Benjamin Tillig, „jetzt schwebt sie wie in einem Schmuckkästchen.“ Allerdings in einem mit doppeltem Boden. In zweiter Ebene stecken viele Fragen drin, wie auch die nach der vorwiegend aus Männersicht erzählten Geschichtsschreibung.

Dazu hat Yvonne Roeb zwei kleine Collagen gefertigt: Dabei geht es um den kolonialen Blick auf die exotische Schönheit (ECHO I und ECHO II, 2016) .Und in einem weiteren Werkstück formt sie weibliche Körperteile nach (WELTINNENRAUM I, 2022). Für Roeb ist der Umgang damit normal, nicht zuletzt, weil sie aus einer Arztfamilie kommt. Natürlich aber spielt sie mit der Scham und der Anziehungskraft – auch über die Materialität.

Je länger man sich der Rauminstallation hingibt, um so mehr Assoziationen poppen auf. Roeb hat perfekt den sinnlichen Reiz der geziert gedrehten, schwingenden Starnberger Heiligenfigur aufgegriffen, die klerikale Vorstellungen mit höfischem Rokoko vereint, und daran eine Art Kulturgeschichte der Weiblichkeit aufgezogen.

Weitere Einblicke gibt das Künstlerbuch ARTIFIZIARIUM III und das Symposium Warum Weiblichkeit? am Mittwoch, den 28.September. Die Ausstellung läuft bis zum 19. Februar 2023.

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