2016. Synthetisierte Träume


Art Week Magazine 2016, SS 38–40

Synthetisierte Träume

Yvonne Roebs Skulpturen sind Mischwesen aus Mensch und Tier. Sie erzeugen Gänsehaut und gleichzeitig eine poetische Sicht auf die Natur.

Text von CONSTANZE SUHR

Für eine Ausstellung in der Schering Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur hatte das Künstlerduo REVITAL COHEN & TOUR VAN BALEN 2015 einen japanischen Biologen überredet, sterile Albinofische für sie zu entwerfen, um die Praxis der synthetischen, manipulierten Biologie zu kritisieren.

Yvonne Roeb, SPINE, 2013

Die Bildhauerin YVONNE ROEB folgt dagegen einen weitaus einfühlsameren Ansatz: Ich würde nie echte Lebewesen manipulieren wollen! Im Gegenteil. Ich stelle mit fiktiven Abbildern menschlich-tierisches Verhalten dar. Mensch und Tier liegen näher beieinander, als die meisten sich wünschen oder wahrhaben wollen.
Die Künstlerin erforscht das Leben indem sie Gestalten aus Träumen, Mythen und Legenden erweckt und materialisiert. Sie kreiert mit ihren Skulpturen eine Welt voller Mischwesen, die an Urviecher oder biologische Unfälle erinnern und eine gegenseitige Durchdringung von Mensch und Tier, Zivilisation und Natur darstellen. Zeitlos und gleichsam zeitgenössisch – dabei immer seltsam berührend und oft ein wenig unheimlich. Beim Gespräch mit der Bildhauerin ist geradezu spürbar, wie nahe sie ihren Schöpfungen steht. Ich möchte keine Assistenten beschäftigen die mir zuarbeiten, sagt Roeb, es ist ein ganz direkter Moment mit mir und der Arbeit, mit dem, was entsteht.

Yvonne Roeb, MIDNIGHT RIDER, 2009

Die Natur hat weit aus mehr Energie, als wir über Spulen und Spannungen erzeugen können

Yvonne Roeb

Häufig arbeitet Roeb an mehreren Skulpturen gleichzeitig. Unfertige Objekte bringt sie dann aus Ihrem Kreuzberger Atelier in eine Etage höher, bis sie entschieden hat, wie sie weiter behandelt werden. Roeb’s Wohnung gleicht einem Duchamp’schen Museum, einer Raritätensammlung aus Fundstücken und eigenen Arbeiten, beides auf den ersten Blick kaum von einander zu unterscheiden. In einer Vitrine bewahrt die Künstlerin seltsam gezackte und gebogene röhrenförmige Gebilde auf, die Ergebnisse einer verrückten Versuchsreihe. Roeb hatte zwei Wissenschaftler darum gebeten, für sie versteinerte Blitze zu generieren. Die Natur hat weit aus mehr Energie, als wir über Spulen und Spannungen erzeugen können, erklärt die Künstlerin. Aber dann waren tatsächlich kleine Verschmelzungen zustande gekommen, Fulgurite, die als fragile Skulpturen Teil der Ausstellung in der Schering Stiftung werden.

Dort präsentiert Roeb ihre Arbeiten in Form einer modernen Wunderkammer, die die Skulpturen in einem Tableau aus Nischen anordnet. Sammeln, betrachten, in Bezug zueinander bringen, das war das Prinzip dieser Vorläufer unserer Museen in Spätrenaissance und Barock. Die Art der Erkenntnisgewinnung durch die Analyse scheinbar ungeordneter Objekte greift Yvonne Roeb durch ihre faszinierenden Skulpturen auf.

Roeb’s Wohnung gleicht einem Duchamp’schen Museum, einer Raritätensammlung aus Fundstücken und eigenen Arbeiten, beides auf den ersten Blick kaum von einander zu unterscheiden