2018. Collectors & Hunters – Wunderkammer Zitadelle


Pressemitteilung

Collectors & Hunters – Wunderkammer Zitadelle

Sie waren als äquivalente Miniaturen der Weltkugel und zur Selbstdarstellung der Fürsten gedacht, die Wunderkammern der Spät-Renaissance und des Barock. Dinge der Natur und der Kunst sollten in einem imponierenden Arrangement einerseits das Wunderbare der Erde und ihrer göttlichen Ordnung abbilden. Andererseits stellte der ästhetische Gesamteindruck überbordender Fülle den Wohlstand und die Bildung des adligen Besitzers zur allgemeinen Bewunderung aus.

Die Anordnung der Objekte war nicht mehr zufällig und von magischem Denken bzw. (Wunder-)Glauben geprägt wie in den mittelalterlichen Kuriositätenkabinetten mit Einhorn-Hörnern und Riesen-Knochen. Vielmehr bestimmten rationaler Wissensdrang und Wertschätzung menschlicher Kunstfertigkeiten die Wunderkammern, und zwar ohne die entsprechenden Dinge und Bilder wie in den Museen seit der Neuzeit nach dem Prinzip natur- bzw. geisteswissenschaftlicher Belehrung und Kunstgenusses zu trennen.

Muscheln, Totenköpfe, Uhrwerke, Gemälde, Versteinerungen, Goldschmuck, Schlangenhäute, Bücher standen in Regalen und Glasschränken oder hingen an den Wänden zusammen, aber nicht willkürlich. Sinnhafte Ordnung entstand durch die Idee, mithilfe der Kombination der Dinge größtmögliche optische Wirkung sowohl im Ensemble als auch in der Entdeckung eines einzelnen Gegenstands zwischen vielen zu erzielen. Damit sollte sich der universale Zusammenhang aller Dinge miteinander ebenso erschließen wie die zentrale Stellung von Mensch und Erde im göttlichen Kosmos. Auch die in dieser Zeit modernen Irrgärten spielten mit sinnlicher Wahrnehmung und stellten den eigenverantwortlichen Menschen in den Mittelpunkt.

Die hier gezeigte Ausstellung präsentiert die Spandauer Sammlung ohne die im stadtgeschichtlichen Museum sonst übliche, nach Themen, Funktion und Aussagekraft separierende Ordnung und wagt eine neue Art der Präsentation: Die Zusammenstellung der musealen Objekte von der Verpackung über die Skurrilität bis zur Kostbarkeit nimmt Elemente der Wunderkammern und Irrgartenstrukturen auf, also die Kombination von Natur-, Kultur- und Kunstgegenständen nach Kriterien der (Form-)Ähnlichkeit oder der Kontraste, die Einbeziehung der Raumästhetik, die entscheidungsoffene Wegeführung, das Vergnügen an der Verwunderung.

Aber die Installation der Künstler, sein bildhauerischer Gestaltungswille und seine kreativen Entscheidungen ermöglichen einen neuen und erweiterten Zugang zu den Objekten. Weder ehrfürchtige Bewunderung für die Sammlung noch Belehrung stehen im Vordergrund, sondern Neugier, individuelle Wahrnehmung und Freude an wunderbaren und wunderlichen Dingen.

Olaf Bastigkeit, der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig Bildhauerei bei Astrid Klein studierte, hat in den vergangenen Jahren bereits mehrfach künstlerische Interventionen in Museen realisiert. So z.B. 2013 im Museum der bildenden Künste in Leipzig, wo er im Rahmen der Ausstellung Natur 3D, Objekte aus dem Naturkundlichen Museum Leipzig und Transportkisten aus dem Depot des MdbK in einer raumgreifenden Installation unter inhaltlichen und ästhetischen Gesichtspunkten zusammenführte.

Interessant ist in vielen Arbeiten die Einbeziehung historischer Referenzen in eine gegenwärtige Ästhetik, die sich aus zahlreichen Quellen speist. Dazu gehören insbesondere eine äußerst zeitgenössische Materialästhetik, die mit starkfarbigen Folien, mit Stoffen, Industrieabfällen und Alltagsgegenständen mit besonderer Oberflächenstruktur operiert, dazu gehören immer wieder aber auch Bezugnahmen auf die großen künstlerischen Traditionen des 20. Jahrhunderts, der Arte Povera, des Minimal und der Pop-Art. Ausgehend von solchen Referenzen entwickeln die Künstler nicht nur großformatige Skulpturen und Malerei, sondern immer wieder auch ortsbezogene Installationen, die auf Räume, Dinge und Kontexte reagieren. Die Interventionen entwickeln ihre besondere Qualität aus dem bisweilen harten Nebeneinander von Besonderem und Banalem, von wertvollen Objekten und Abfallprodukten, von ästhetischer Finesse und radikaler Setzung. Nicht selten liegt über der ernsthaften Auseinandersetzung mit formalen und inhaltlichen Fragestellungen ein Hauch leiser Ironie und hintergründigen Humors.