Süddeutsche Zeitung, 26. September 2022
Verbildlichung der Weiblichkeit
Bildhauerin Yvonne Roeb rückt für ihre begehbare Installation ECHO die Starnberger Heilige von Ignaz Günther ins Zentrum der Kapelle des Lochmannhauses.
Von SYLVIA BÖHM-HAIMERL
Die Starnberger Heilige scheint hinter der eingezogenen apricot-farbenen Wand zu schweben. Die Rokokofigur des Bildhauers Ignaz Günther aus dem Jahr 1755 wird von der Künstlerin Yvonne Roeb in einem völlig neuen Licht präsentiert. Die Installation, die sie zusammen mit den Mitarbeitern des Bauhofs eine Woche lang aufgebaut hat, wird derzeit in der Kapelle im Museum Starnberger See präsentiert. Das Werk mit dem Titel ECHO soll nach Angaben von Museumsleiter Benjamin Tillig nicht nur die religiöse Heilige darstellen, die seit 1914 im Lochmannhaus steht, sondern insbesondere auch die Verbildlichung und Vereinnahmung der Weiblichkeit.
Es ist ein Farbenspiel, das genau aufeinander abgestimmt ist. Hinter der Heiligenfigur, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Heilige Katharina darstellt, wurde die Apsis in einem leuchtenden Samt-Blau gestrichen, die oberhalb der eingezogenen Wand in Form eines Sichelmondes hervorscheint. Aus der Zwischenwand wurden die Umrisse der Heiligen herausgesägt. Sobald der Betrachter seinen Blickwinkel ändert, scheint sich die Figur mitzubewegen. Vor der Wand steht – quasi als Rahmen – eine Raute und der eigens angefertigte Teppichboden greift das Rhomben-Muster auf. In der Bodenmitte liegt eine Beinskulptur. Die Künstlerin hat dafür ihren eigenen Beine fotografiert und nach diesem Vorbild die realistische Figur gefertigt. Sie soll das Sinnliche, Kokette der Weiblichkeit verkörpern. Wie Roeb erklärte, hat sie sich damit an die religiösen Darstellungen angelehnt, als im Mittelalter Gliedmaßen aus Holz oder Silber in Kapellen gehängt wurden, um die Fürbitten zu unterstreichen. Schon in vorchristlicher Zeit dienten Darstellungen von Gliedmaßen als Opfergaben.
Die Bildhauerin Roeb, die derzeit in Paris lebt, macht häufig Collagen, die sie auch dieses Mal in die Installation eingebaut hat. Dafür hat sie Fotos von barbusigen Afrikanerinnen aus den 1950-er Jahren verwendet, die sie mit Männern im Anzug verschmelzen lässt. „Es ist ein kolonialer Blick auf die Frau“, erklärt sie. Hintergrund sei, dass in die halbnackten Afrikanerinnen in Kolonialzeiten oft das Verführerische, Wilde hineinprojiziert worden sei. In einer Glasvitrine, einem so genannten Diorama, sind ebenfalls weibliche Köperformen aus Stoff und Perlen (Lippenform) oder aus Ton (Zunge) dargestellt. Ein ARTIFIZIARIUM, also ein Künstlerbuch mit Collagen der Künstlerin, in denen sich die Elemente Füße, Mond und die Heilige wiederholen, kann der Besucher am Ende mit nach Hause nehmen. Die Installation ist begehbar. Damit der Teppich keinen Schaden nimmt, müssen allerdings die Schuhe ausgezogen werden.
Museumsleiter Tillig will im Museum nicht nur die regionale Geschichte bewahren, sondern versucht immer wieder neue Betrachtungsweisen in die Einrichtung zu holen. „Die Kunst ist ein Werkzeug, um die Geschichte aufzuarbeiten“, betonte er bei der Vorstellung der Installation. Der Besucher bekomme die Zusammenhänge nicht nur erklärt, er könne sie auch erleben. Bislang ist die Starnberger Geschichte nach seinen Erfahrungen ausschließlich von Männern geschrieben worden. Mit der Ausstellung der Künstlerin Yvonne Roeb wolle er nun das Gleichgewicht wieder herzustellen. Roeb hofft, dass die Besucher durch ihr Werk einen neuen Blick auf die Starnberger Heilige bekommen. Mit ihrer Kunst wolle sie die Weiblichkeit immer wieder neu aufbrechen, sagte sie.
Die Installation war laut Tillig nicht einfach anzubringen, da die denkmalgeschützte Holzdecke nicht angetastet werden durfte. Um die Raute aufhängen zu können, habe man sich mit einem Stahlseil beholfen, das oberhalb der Decke verbunden worden sei, sagte der Museumsleiter.
Die Ausstellung ECHO ist bis zum 19. Februar 2023 zu den Öffnungszeiten des Museums Starnberger See, Possenhofener Straße 5, in Starnberg zu sehen.