2025. Bewaffnete Bilder


Monopol. Magazin für Kunst und Leben, 27.08.2025

Ausstellung ROHKUNSTBAU

Bewaffnete Bilder

von NICLAS KAUERMANN

Im politischen Diskurs geht es gerade überall um Aufrüstung. Die Ausstellungsreihe ROHKUNSTBAU im Schloss Altdöbern ruft gleichzeitig zur ÄSTHETISCHE WIEDERBEWAFFNUNG auf und meint damit etwas sehr Grundsätzliches

Am liebsten würde man vor den ganzen Schlagzeilen über Waffen und Panzer fliehen. Spätestens seit dem vollumfänglichen Angriff Russlands auf die Ukraine und der ausgerufenen Zeitenwende sind die Medien voll von Nachrichten über Aufrüstung. Vielleicht kann man aufs Land fahren? Doch selbst im friedlich wirkenden Oberspreewald, knapp zwei Stunden von Berlin entfernt, bleibt man scheinbar nicht verschont: Im Schloss der brandenburgischen Gemeinde Altdöbern findet die 30. Ausgabe der wandernden Ausstellungsreihe Rohkunstbau statt. Der diesjährige Titel: Ästhetische Wiederbewaffnung.

Doch die erste Irritation trügt. Die Schau, die sich in einem alten Gebäude einquartiert hat, in dem einst Landesherren und Zigarettenfabrikanten residierten, will das Gegenteil einer aggressiven Waffenergreifung sein. Sie reagiert vielmehr auf die sich wandelnden Umstände – und zeigt, warum es wichtig ist, dass Kunst gerade in Zeiten des Rechtsrucks und wachsender Nationalismen als unabhängiges Kommunikationsmedium auftritt. Die Kunst muss wieder aufrüsten. Doch nicht im militärischen Sinne, sondern, um sich gegen gesellschaftliche Zwänge zu wehren. 

Geplant wurde die Gruppenausstellung von dem in Leipzig geborenen und in Dresden aufgewachsenen Kurator Christoph tannert, der schon in den 70er-Jahren als Tramper zu Rock-Konzerten nach Altdöbern gefahren ist und heute in Berlin wohnt. Einen waschechten Ostler nennt er sich selbst. 

Schizophrenie als Verteidigung 

Er unterstreicht den Anspruch des Rohkunstbaus: Es gehe um ein ästhetisches Sich-Wehren gegen gegenwärtige negative Kräfte, und nicht um ein Speerwerfen. Teile des Teams, das für die Ausstellung mitverantwortlich ist, stammen aus Altdöbern. In einem Ort, in dem die AfD mit über 40 Prozent stärkste Partei bei der Bundestagswahl war, sind die engagierten Einheimischen laut Tannert davon überzeugt, dass das Projekt eine Form der Aufklärung für die Gemeinde sein kann.

Schon in der Eingangshalle des nur teilweise renovierten Schlosses zeigt Thomas Zipp mit Objekt (2025), wie eine solche künstlerische Bewaffnung aussehen könnte: Eine Mickey-Mouse-Figur mit leerem Blick versperrt den Weg wie ein Torwächter und beginnt zu wackeln, sobald man sie berührt. Die Werkbeschreibung als schizophren ist hier nicht als medizinischer Begriff angelegt, sondern als eine befreiende Kraft – als Bild dafür, Normen und gesellschaftliche Vorgaben zu sprengen. 

Auch im Nebenzimmer ist eine Referenz auf eigenständige künstlerische Stimmen zu sehen: Vor historischen Wandmalereien, in denen junge Buben im Wald tanzen, steht Birgit Diekers All her Colours (2025). Aus einem schwarzen Baumstamm quellen oben bunte Stoffschichten heraus. Inspiriert ist die Silhouette von einem Patti-Smith-Porträt von Fotografin Annie Leibovitz. Die Skulptur wirkt wie ein Verweis auf feministische Selbstbehauptung. Fest verwurzelt, aber nach oben offen und ungezähmt.

Als die Kunst zur Zielscheibe wurde

Doch die Schau zeigt auch, wie fehlender Rückhalt Kunst verwundbar erscheinen lässt. Auf einer Palette neben der Treppe in den ersten Stock fehlt eine Gipsstatue von Thomas Judisch: Zu sehen sind nur der Sockel, eine schlangenverzierte Vase und ein Tuch – die Hauptfigur ist verschwunden. Die Arbeit spielt auf eine Aktion des Bundesamts für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) an, das eine als aufdringlich und sexistisch empfundene Venus aus ihrem Sitz in Berlin entfernte und der Kunstsammlung Leipzig übergab.

Während es hier im weiteren Sinne um die Debatte über Cancel Culture geht, musste sich die Gemeinde Altdöbern kürzlich auch ganz real mit der mutwilligen Zerstörung von Kulturgütern auseinandersetzen. Kurz nach Ende der vergangenen Ausgabe des Rohkunstbaus brannte im Oktober 2024 das örtliche Kulturhaus. Der Sachschaden ging in die Hunderttausende. Die Täter stammen mutmaßlich aus dem Umfeld der rechtsextremen Jugendgruppe Letzte Verteidigungswelle, die laut Spiegel auch einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft geplant haben soll.

Daran muss man unwillkürlich denken, wenn man Anselm Reyles Installation Untitled (2025) in der Haupthalle begegnet: Übereinandergestapelte, auf dem Boden liegende Leuchtstoffröhren, die aussehen, als wären sie gerade von der Wand gefallen. Die funktionslos gewordenen Objekte strahlen eine gewisse Ohnmacht aus, aber auch den Willen zu einer Neuordnung. 

Zwischen World Wide Web und Realität 

Roland Boden erzählt in Text und Skulptur ironisch-dystopische Raumfahrtgeschichten, die an Interstellar erinnern. Wird hier schon das Verlassen des kriegsversehrten Planeten Erde geprobt? Alexander Endrullat arbeitet dagegen mit den Überbleibseln des digitalen Kapitalismus. Wenn der letzte Baum gefällt ist, dann werden die Papierflieger laut dem Künstler eben aus iPads gebastelt und die Türstopper aus MacBooks.

Der Ausstellung gelingt es, die politisch konfliktbeladene Gegenwart mitzudenken, dabei aber konstruktiv zu bleiben. Sie schlägt keinen vorwurfsvollen Ton an, sondern plädiert dafür, der Kunst als bewusstseinserweiternde Kraft zu vertrauen. Sie als Gegenentwurf zu Ideologisierung ernst zu nehmen. 

Beim Verlassen des Schlossparks begegnet das Publikum Dafni Barbageorgopoulous Skulptur Discharge (2025), einer Pyramide aus gefundenen Leuchtreklame-Buchstaben: Hier ein Sparkassen-S, dort ein U-Bahn-U. Die Zeichen, die ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben, lassen sich auch als Bild für den Verlust einer gemeinsamen Sprache lesen. Oder als Möglichkeit, neue Worte zu bilden.

An einem Sonntag Mitte August bleibt ein Paar mit Hund kurz vor der Außenarbeit stehen, sagt abwertend: Das soll Kunst sein? und geht weiter. So bleibt auf dem Rückweg nach Berlin die Frage, inwiefern eine Ausstellung wirklich Aufklärung sein kann und wen sie tatsächlich erreicht. In den Nachrichten aus den Kopfhörern geht es wieder mal um Aufrüstung.

Foto: © Waldemar Brzezinski/ROHKUNSTBAU