2025. Orbit Balmoral – Sinnlichkeit Yvonne Roeb


balmoral skripts 2025/1

Sinnlichkeit: Yvonne Roeb

von THOMAS KOHL

In der griechischen Antike stritt die Philosophie um die bessere Idee, um die bessere Form für ein gelingendes Leben, – eine wunderbar reichhaltige Auseinandersetzung zwischen dem Glauben an die vita activa auf der einen und an die vita passiva auf der anderen Seite. Diesem scheinbar deutlichen Gegensatz zwischen der Vorstellung vom betrachtenden Leben und dem Ideal vom handelnden Lebe hat HANNAH ARENDT das versöhnliche Zusammendenken beider Lebensideale als einander bedingende Konstellation entgegengesetzt: Ohne Betrachtung kein Handeln, ohne Handeln keine Reflektion.

Und hier kommt die Kunst ins Spiel, genauer: die Kunst von YVONNE ROEB. Ihre Arbeiten begegnen der Komplexitätszumutung unserer Gegenwart mit poetischer Ambivalenz: Sie erzeugt die besten Formen eines sowohl als auch. Die Kunst von Yvonne Roeb bringt uns vom Staunen zum Raunen.

Die Arbeiten der Künstlerin erzählen von der Komplexität des Seins, des Werdens und Vergehens. Sie erinnern und erträumen, erobern und eröffnen, erstaunen und erschaffen. Sie umschreiben Verlust und Zugewinn in ihren Formpartnerschaften: Organische treten mit anorganischen Formen an, geometrische Abstraktionen agieren mit körperlichen Analogien, Bilder kooperieren mit Ideen, Räume verlieren sich in Flächen. Die Skulpturen von Yvonne Roeb berühren uns in ihrer diffizilen Direktheit, in ihrer feinen Haptik und kühnen Sinnlichkeit.

Ihre Materialgegnerschaften halten die Formen in der Schwebe, sie scheinen ausbalanciert zu atmen. die materielle Sensorik erzeugt feinste Ambivalenzen: So verhält sich ganz selbstverständlich Leder zu Holz, Kunststoff zu Terracotta, Keramik zu Lack, Spiegel zu Pigment, Acryl zu Metall, Schellack zu Gips.

Diese sinnhafte Sinnlichkeit folgt keiner einfachen Erzählstruktur, die Künstlerin agiert händisch mit diesen Materialhandlungen und Formpartnerschaften, sie pondiert sie und addiert ihre Materialgegensätz zu neuen Paaren. Wir sehen

die schreitend Stehende,

die gebettet Verschlungene,

die morbide Brillanz,

den gestanzten Raum,

den schönen Tod,

das wehrhaft Gefangene.

Yvonne Roeb gelingt es in ihren Arbeiten, in ihren Skulpturen und Installationen, den pas de deux von unserem anthroprozentrischen Denken, Handeln und Formen zu lösen und die unbedingte Zeitlosigkeit einer übergeordneten Schöpfungskomplexität zu überführen.