Neue Routen durch die Sammlung: “Marta Maps”
Text von THOMAS KÖSTER
In “Marta Maps” schlägt das Marta Herford Besucher*innen drei Wege zur Erkundung seiner Sammlung vor. Aber in den großartigen Bildern und Skulpturen liegt natürlich noch viel mehr Potenzial. Wir versuchen also einfach mal einen vierten Weg – mit mythischen Geschichten zu unseren Lieblingswerken.
Im Marta selbst sind drei von Texten flankierte Serviervorschläge am Boden markiert: einer folgt der Sicht von Kindern, einer den Gedanken des großartigen Schriftstellers Wladimir Kaminer – und einer lenkt den Blick auf das, was in fertigen Ausstellungen normalerweise verborgen bleibt.
Wir sind alles abgegangen und können deshalb sagen: Jede der vorgeschlagenen Routen lohnt sich. Aber in den Werken schlummern noch viele weitere Angebote. Denn jedes Gemälde und jede Skulptur ist hinlänglich geheimnisvoll, um die eigene Phantasie anzukurbeln.
Wir von der KunstArztPraxis zum Beispiel haben versucht, alle drei Marta-Routen zu verbinden und mit naiver Unbefangenheit fiktive Mythen sichtbar zu machen, die sich hinter den Werken verbergen könnten. So irgendwie.
Ach, egal. Wir fangen einfach einmal an.
XERONS NUTZLOSE ARME
Schlimm und grausam ist der Mythos der vielköpfigen Hydra, der für jeden abgeschlagenen Kopf bekanntlich zwei neue wachsen. Nicht minder schrecklich aber ist die Legende vom blendend weißen und sagenhaft schönen Ungeheuer Xeron, das den bis zur Unsichtbarkeit schmalen Pfad zum Quell der Erkenntnis bewacht.
Wie die Todesgöttin Kali, so hat auch Xeron vier oder zehn Arme – und gilt als unbesiegbar. Denn immer, wenn ein unerschrockener Wissbegieriger dem Ungeheuer im Kampf einen Arm abschlägt, behauptet die Sage, wachsen ihm vier oder zehn neue, am Ende blendend weiße nach.
Yvonne Roeb hat den abgeschlagenen Arm des Xeron nach allen Vorgaben der Überlieferung exakt nachmodelliert. Und sie macht deutlich, dass wir uns keineswegs fürchten müssen, den Kampf um mehr Erkenntnis aufzunehmen. Im Gegenteil:
Bis die Fötenarme des Xeron zu wehrhafter Weiße herangewachsen sind, dauert es offensichtlich unendlich lange. Und die Fötenarme des Xeron wachsen ja nichtmals am Körper des Xeron neu, sondern behausen völlig nutz- und harmlos die Faust der schon abgeschlagenen Hand.
Fotos: KunstArztPraxis