Frankfurter Allgemeine, 24. April 2012, Seite 35
Märchen, Mythen und Schicksalsvögel
Erste und letzte Fragen: Arbeiten von Yvonne Roeb
Von CHRISTOPH SCHÜTTE
New York muss ein Alptraum sein. Wie soll man sonst die Skulpturen er-
klären, die Yvonne Roeb während ihres Aufenthalts in der amerikanischen Metropole angefertigt hat? All die toten Vögel, die sich in 13 zu einem seltsam berührenden Momento mori zusammenfinden, die Papageien (ACEPHALUS), die am Kopf zusammengewachsen sind, und FEMALE, jenes Haupt, das als Vereinigung idealer maskuliner und femininer Züge auf die Skulptur der Antike verweist und düster das in geheimen Genlaboren gezeugte Wunschkind unserer Tage beschwören zu scheint.
Im plastischen Werk der 1976 geborenen Meisterschülerin Katharina Fritschs, die ihre aktuelle Arbeiten noch bis Samstag in der Frankfurter Galerie Tolksdorf zeigt, gebiert jeder Traum diverse Ungeheuer. Sie haben ihre Quelle in Märchen, Mythen, Psychoanalyse und der Kunstgeschichte und finden sich in Roebs Arbeiten der vergangenen Jahre stets ebenso realistisch wie im Detail merkwürdig verfremdet ausgeführt.
NEW WORKS aber, so der lapidare Titel der Ausstellung, geht einen entscheidenden Schritt weiter. Roeb hat sich jenseits mythologisch belegter Kreaturen und ihres Interesses an Metamorphosen neue Themen erschlossen, die ihrer dem Naturalismus und dem Surrealismus gleichermaßen verpflichteten Formensprache gänzlich neue Möglichkeiten eröffnen.
Das gilt auch für das an mittelalterliche Altarbilder anschließende RETABLE. Die Frage nach der Bildhaftigkeit und dem Abbildcharakter der Kunst ist Roebs Werk dabei seit jeher eingeschrieben und nicht nur in Paraphrasen barocker und romantischer Motive präsent. Doch RETABLE hat eine andere, in ihrer Komplexität stupende Qualität. Nichts zeigen die Schauseiten des Objekts als Bildträger, mit kostbar schillernden Farbresten am hölzernen Rahmen, Brandspuren sowie den planen, von
Craquelés malerisch strukturierten Tafeln. Ein abstraktes, scheinbar von allen Inhalten befreites Bild. Roeb aber verhandelt vor dem nichts als Form gewordenen Objekt Sinn und Zweck Kunst, stellt erste und letzte Fragen: nach Form, Inhalt und Kontext.