Rheinische Post, 3. November 2015
Alptraumwesen im Denkrahmen
Die junge Bildhauerin Yvonne Roeb zeigt im Lehmbruck-Museum Werke, die wie Metamorphosen aus der Tier- und Pflanzenwelt wirken. Für die Ausstellung baute sie die Glashalle des Museums im Maßstab 1 : 20 nach.
Von PETER KLUCKEN
Unter dem Titel Sculpture 21st zeigt das Lehmbruck-Museum seit 2014 in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen Werke von zeitgenössischen Bildhauern, die auf irgendeine Weise für die aktuelle Kunstszene Beispielhaftes repräsentieren. In diese Reihe fügt sich nun Yvonne Roeb (Jahrgang 1976) ein, eine Meisterschülerin von Katharina Fritsch. Am Donnerstag, 5. November, 19 Uhr, wird ihre Einzelausstellung mit dem Titel DIVINE BEAST eröffnet. Die zwischen Berlin und Düsseldorf pendelnde Künstlerin wird bei der Eröffnung dabei sein. Präsentiert wird die Ausstellung in der Glashalle des Museums, die auch von außen einsehbar ist. Für ihre Ausstellung entwarf die Künstlerin ein Gestell, das zugleich ein Modell der Glashalle im Maßstab 1 : 20 ist. In dieses stählerne Gestell hängt oder stellt die Künstlerin ihre eigentümlichen Werke, die in den vergangenen Jahren bis unmittelbar zur Gegenwart von ihr geschaffen wurden. In Duisburg, so sagte sie gestern beim Pressegespräch, zeige sie ausschließlich Arbeiten, die für sie besonders wichtig seien.
Die Skulpturen muten an wie Metamorphosen aus der Tier- und Pflanzenwelt. Einige dieser Kunstwesen scheinen Abbilder aus der Natur zu sein, etwa krakenartige Gebilde, die sich an Gestängen klammern (SHE WAS ONCE LIKE ME, 2012). Andere Kunstwesen sind Mischformen, die der Fantasie oder Alpträumen entsprungen zu sein scheinen. Wiederum andere haben ihre Vorbilder in Fantasy-Comics, bei denen beispielsweise ein skurriler Held Teleskoparme ausfahren kann, um seine detektivischen Fähigkeiten zu verstärken; gemeint ist Inspektor Gadget aus der gleichnamigen Zeichentrickserie (GO GO GADGET, 2015). Und nicht zuletzt spielt Yvonne Roeb auf Mythen der Menschheit an, darunter auch den Voodoo-Kult. Letzterer lässt sich assoziieren angesichts eines nachgebildeten Skelett-Teils, aus dem lange Haare ragen (MIDNIGHT RIDER, 2009, VOODOO II, 2014).
Yvonne Roeb, eine freundliche junge Frau, lässt all diese Arbeiten zu einer eigentümlichen Gemeinschaft werden, die im Glashallen-Modell beherbergt ist. Der Ausstellungskurator DR. MICHAEL KRAJEWSKI nennt das Gestell, das nach Anweisung der Künstlerin bei den Hüttenwerken Krupp Mannesmann gebaut wurde, Denkrahmen.
Ungewöhnlich ist die Materialwahl der Künstlerin: Nicht alles, was wie Stahl oder Bronze aussieht, ist tatsächlich Stahl oder Bronze. Bisweilen handelt es sich um Bauschaum, der fast federleicht ist. Dieses materialästhetische Mimikry ist eine der Qualitäten, die Yvonne Roebs skulpturales Werk unverwechselbar machen, schreibt Museumsdirektorin DR. SÖKE DINKLA in dem Katalog zur Ausstellung.
Neben den Werken im Denkrahmen hat die Künstlerin eigens für das Lehmbruck-Museum zwei große Naturfaser-Teppiche geschaffen, die je eine Schlange zeigen: im Nebeneinander der Teppiche zwei Schlangen, deren Köpfe jeweils auf das Schwanzende der anderen weisen. Natürlich spielt Yvonne Roeb hier mit dem Schlangenmythos, der in unserer christlichen Kultur als Sinnbild der Hinterlist und Verführung gilt, in anderen Kulturen allerdings als Sinnbild der Dauer (die beiden Schlangen, die zusammen einen Kreis bilden). Die beiden Schlangen-Teppiche entstanden übrigens in Handarbeit: die Künstlern hat zusammen mit fünf Helfern vier Wochen lang und zehn Stunden täglich daran gearbeitet (AEON, 2015). Die Werke der Künstlerin werden Tag und Nacht beleuchtet und können so auch jederzeit im Kantpark von außen besichtigt werden.