Wild/Schön. Tiere in der Kunst


Kunsthalle Emden

Gruppenausstellung | 30.1. – 26. 9. 2021 (verlängert)

Die Beziehung zwischen Mensch und Tier ist so alt wie die Menschheit selbst und fasziniert Künstlerinnen und Künstler bis heute. Kein anderes Thema erscheint besser geeignet, unser Selbstverständnis zu ergründen. Von Zeichnung und Gemälde über Skulptur bis Fotografie, Video und Installation präsentiert die Ausstellung „Wild/Schön – Tiere in der Kunst“ eine breite Auswahl von Darstellungen.

Ausgehend von der eigenen Sammlung der Kunsthalle Emden und ergänzt um wichtige Leihgaben zeigt die Ausstellung mehr als 120 Tierdarstellungen des 20. und 21. Jahrhunderts, die anregend, überraschend und unterhaltsam Auskunft über das facettenreiche Verhältnis zwischen Mensch und Tier geben.

PHYSICA CURIOSA, 2014

Yvonne Roeb inszeniert eine dunkle, aus der Zeit gefallene Wunderkammer im Museum, eigene, von der allgemeinen Beleuchtung entkoppelte, Räume um ihre kulturell veränderte Sicht auf die Spezien zu zeigen.

Die Arbeiten von Yvonne Roeb auf den ersten Blick zu erfassen und mit Worten zu um- oder beschreiben, scheint schier unmöglich. Man ist geneigt, die Adjektive wiederzugeben: Fremdartig, bizarr, kurios, grotesk und wundersam wirken die Objekte. Und doch geht von den filigranen Plastiken eine unterschwellige Vertrautheit aus, wie in einer Art déjà-vu. Yvonne Roeb arbeitet assoziativ und bedient sich des Formenrepertoires der Natur, genauso wie sie die Ästhetik von mystischen Gegenständen, rituellen Kultobjekten und surrealen Traumsequenzen aufgreift. So entstehen Hybride, die sich einer eindeutigen Zuordnung verweigern – wobei sich animalische Bezüge wie ein roter Faden durch die Werke ziehen.

Tiere haben in ihrem Leben und dadurch nicht zuletzt in ihrem Schaffen einen zentralen Stellenwert: „Mir geht es um eine Form des Beschützens, um das Bewahren vor Schaden. Und auch das Wertschätzen,das Herausstellen aller Lebewesen als gleich. Oft besitzen meine Arbeiten neben der Schönheit auch eine gewisse Grausamkeit. Und wenn man das als Betrachter realisiert, kann man leicht zu der Frage kommen, wie man sich eigentlich selbst gegenüber anderem Leben verhält.“ Tiermotive sind in ihren Objekten keine Metaphern, sondern verschmelzen – ex pluribus unum – zur poetischen kosmischen Größe und drücken Einheit und Verbundenheit bei gleichzeitiger Verletzbarkeit der Existenz aus; auch der des menschlichen Tieres.

Mindestens genauso zentral wie die Auseinandersetzung mit den einzelnen Objekten selbst scheint die Art und Wiese der Präsentation im Raum. Starke inszenatorische Momente stimmen in die komplette Rauminstallation ein und rücken gleichzeitig die Fragilität der einzelnen Arbeiten in den Fokus – als möchte uns die Künstlerin sagen: „Schaut her, und zwar auf jedes einzelne Werk!“ Auch wenn Yvonne Roeb nicht seriell arbeite, hat sie für ihre Präsentation in der Kunsthalle Emden jeweils Paardialoge gebildet. Die Plastiken stehen für sich, beziehen sich aber in ihren jeweiligen Anleihen aufeinander. Durch die teils fantastisch-kuriosen, teils kultisch oder naturwissenschaftlichen ästhetischen Referenzen der Paare entsteht in der Zusammenstellung der Eindruck einer frühneuzeitlichen Wunderkammer – in der zu vorgeblich wissenschaftlichen Zwecken Artefakte aus unterschiedlichen Disziplinen zusammengetragen wurden. Diese Formen des Sammelns, Kategorisierens und Ausstellens gelten als Vorläufer wissenschaftlicher und musealer Präsentation, die der Generierung von Wissen und letztlich der Erklärung der Welt dienen sollten. Gleichzeitig isnd sie aber Zeugnis des unstillbaren Drangs der Menschheit nach Besitz, Aneignung und simpler Schaulust. In Yvonne Roebs Installation handelt es sich weder um exakte Nachbildungen noch um originale naturwissenschaftliche und kulturhistorische Exponate. Die vermeintliche wissenschaftliche Objektivität der historischen Vorläufer wird mit den fantastischen Zwitterwesen konterkariert, die sich aus der Traum- und Vorstellungswelt der Künstlerin speisen. Das Konzept des Naturalienkabinetts wird dadurch ad absurdum geführt.

ARTIFIZIARIUM, 2020

Das Zur-Schau-Stellen und der damit einhergehende menschliche Voyeurismus gipfelt in der speziell für die Ausstellung in der Kunsthalle Emden entstanden Arbeit ARTIFIARIUM, 2020 – eine mit Spionagefolie beklebte Vitrine, in der sich Kreatürliches vom Boden her aufbäumt und um eine Stange herumwindet. Die Oberflächen der an Nagetiere erinnernden Wesen sind in Teilen geglättet und modelliert, verlieren allerdings an anderen Stellen sprichwörtlich wieder ihre Form. Handelt es sich hierbei um versteinerte Gebilde? Oder um in Lava verschlossene Tiere? Ohne spezielle Vorkenntnis ist dies mit bloßem Auge kaum zu erschließen – und soll es in letzter Instanz auch nicht. Als Bildhauerin bedient sich Yvonne Roeb sowohl klassischer bzw. in Kunstkontexten arrivierter Materialien, wie Wachs, Gips, Stein oder Metall, greift aber auch zu kunstfremden Materialien. Im Falle des ARTIFIZIARIUMS ist dies handelsüblicher Bauschaum. Schwarz eingefärbt könnte dieser auch Lava oder versteinerte Materie sein.

GEIST (I), 2016

Bei der Materialwahl wie auch bei den Motiven selbst geht es der Künstlerin um die Erzeugung von Illusion und Diskrepanz. Erst in der extremen Nahsicht können Besucherin und Besucher das schummrige und nebulöse Innenleben des Schaukastens erkennen. Dabei entsteht ein weiterer illusorischer Effekt: die Spiegelung des Betrachtenden und die visuelle Überlagerung mit dem ausgestellten Objekt. Die Dualismen Subjekt/Objekt, Mensch/Tier, Betrachtender/Betrachtetes scheinen für den Moment der Begegnung im Ausstellungsraum aufgehoben und versinnbildliche das Grundansinnen in Roebs Schaffen: die Darstellung des Tieres im Menschen.

Yvonne Roeb zeigt ihre Arbeiten ARTIFIZIARIUM, FOSSIL I, FOSSIL III, GEIST (I), HASE, PHYSICAL CURIOSA, VOODOO I, VOODOO III, VS (I), VS II, WELTEMPFÄNGER und ZOON.

Vorzugsausgabe des Künstlerbuches ARTIFIZIARIUM

Ein Künstlerbuch von Yvonne Roeb liegt in der Ausstellung aus zur Mitnahme durch die Besucher. 50 Exemplare davon gehören zur Vorzugsausgabe, die die Künstlerin unikatär benäht und gestaltet hat.

Die Emdener Ausstellung umfasst diverse Aspekte zum Thema Tier.
Bestückt wird die Ausstellung mit Beiträge von den Künstlern:

Pierre Alechinsky, Karel Appel, Dieter Asmus, Georg Baselitz, Ella Bergmann-Michel, Rolf Bier, Miriam Cahn, Heinrich Campendonk, Nathalie Djurberg & Hans Berg, Martin Eder, Saara Ekström und Thom Vink, Elmgreen & Dragset, Valérie Favre, Lothar Fischer, Fischli/Weiss, Gerrit Frohne-Brinkmann, Georg August Gaul, Andreas Greiner, Andreas Gursky, Stella Hamberg, Karl Hartung, Simon Cantemir Hausì, Mishka Henner, K. H. Hödicke, Hörner/Antlfinger, Jörg Immendorff, Asger Jorn, Hanns Ludwig Katz, Gustav Kluge, Karin Kneffel, Alfred Kremer, Paul Kunze, Jochen Lempert, Robert Longo, August Macke, Franz Marc, Marino Marini, Ewald Mataré, Christiane Möbus, Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter, NEOZOON, Mimmo Paladino, Carl-Henning Pedersen, Jörn Pfab, Hans Platschek, J. Poppen, Helmut Rieger, Yvonne Roeb, Dieter Roth, Regina Schmeken, Julia Schmid, Corinna Schnitt, Renée Sintenis, Daniel Spoerri, Dorothea Tanning, Soenke Thaden, Diana Thater, Timm Ulrichs, Victor Vasarely, Andy Warhol, Stefan à Wengen und Thomas Wrede

Ausgestellt

Kuratorenschaft

Lisa Felicitas Mattheis

Adresse

Kunsthalle Emden
Hinter dem Rahmen 13
26721 Emden
Telefon +49 4921 975050
kunsthalle@kunsthalle-emden.de
https://www.kunsthalle-emden.de

Öffnungszeiten

Dienstag bis Freitag, 10–17 h
Samstag, Sonntag und Feiertage, 11–17 h
jeder erste Dienstag im Monat, 10–21 h

Literatur (2)

Lisa Felicitas Mattheis (Hg.): Wild schön – Tiere in der Kunst, Emden [Kunsthalle] 2021.

o. V.: Artifiziarium Werkliste, Berlin [Eigenverlag] 2021.
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