2015. Mischwesen überm Schlangenteppich


Westfälische Allgemeine Zeitung, 23. Dezember 2015

Mischwesen überm Schlangenteppich

Das Duisburger Lehmbruck Museum zeigt Arbeiten der Bildhauerin Yvonne Roeb aus zehn Jahren

Von CLAUDIA POSCA

Duisburg. Quo vadis, Bildhauerkunst? Sculpture 21, die junge Ausstellungsreihe im Lehmbruck Museum, sucht Antworten, und manchmal bestehen sie aus grundlegenden Fragen an uns und die Kunst. Seit 2014 wurde wichtiges präsentiert: von Tino Sehgal, Monika Sosnowska, Erwin Wurm und Eija-Liisa Ahtila. Jetzt micht die 1979 geborene Yvonne Roeb mit Divine Beast klassische Bildhauerei mächtig auf.

Einen großformatigen Teppich mit spiegelbildlicher Schlangen-Ornamentik (AEON) breitet die in Düsseldorf und Berlin beheimatete Künstlerin auf dem Boden aus, projiziert ein poetisches Baum-Wind-Geflüster-Video (QUERCUS, 2006) an die Wand und hängt Hybrid-Wesen, Organe, Fossile und Animale an den Haken – wahrlich keine Kuschelmotive, denen Yvonne Roeb ein Wunderkammer-Dasein bereitet. Ohren von Gazelle, Esel, Hausschwein, Wolf, hat sie auf dünne Stäbe aufgespießt, das Ganze WELTEMPFÄNGER genannt. In einem anderen Fall wächst ein Pferdeschweif aus einem Totenschädel (MIDNIGHT RIDER) oder türmen sich fleischfarbene Krustentier-Scheren zum Bizarr-Stillleben auf: SHE WAS ONCE LIKE ME, so der Titel des Memento mori.

Gruseln? Schmunzeln? Schipfen? Yvonne Roebs Kunst polarisiert. Nicht jedem ist ihre archetypisch träumende Kunst nahe. Das Koordinatensystem: Surrealismus, Existenzialismus, Minimalismus. Und mittendrin: wir, staunend, ein bisschen erschreckt. Das minimalistische Installationsgerüst – ein Irgendwie-Setzkasten. Yvonne Roeb nennt ihn DIORAMA. Es ist ein konzeptuelles Spiel mit dem gläsernen Baukörper des Lehmbruck Museums. Auf den zweiten Blick entpuppt sich das Diorama-Gestänge als der im Maßstab 1:20 geschrumpfte Glaspavillon.

Und auch der über vier Wochen mit fünf Helfern zehn Stunden täglich gewebte Schlangenteppich AEON von intensiver Symbolkraft, liegt nicht irgendwo. Sondern exakt dort, wo er von der Empore aus in vogelperspektivischer Draufsicht wunderbar vollständig zu sehen ist.

Das Ortspezifische, der Unmittelbar-Bezug zum Umgebungsort: wichtig für die Bildhauerin. Die Duisburger Ausstellungs-Choreografie bestimmte sie selbst, Kuratorin in eigener Sache. Vor allem der wunderbar lichte, allseitig einsehbare Lehmbruck-Pavillon wirkte enorm inspirierend. Herausgekommen ist ein surrealer Bühnenraum ohne Wände. Kein Wunder, dass man sich selbst haltlos fühlt.

Schülerin von Katharina Fritsch

Es ist Yvonne Roebs erste retrospektive Ausstellung. Zehn Schaffensjahre im Überblick gibt’s zu sehen, ein Mix aus Symbolik, Kultur-Diversität und Comic. GO GO GADGET als Anspielung auf die gleichnamige Trickfilmserie mit dem schusseligen Inspektor ist in der Roeb-Interpretation ein fledermausiges Wesen mit gruselig langen Greifern.

Alles, was Yvonne Roeb formt, ist von hoher Perfektion, glatter Oberfläche, minutiöser Präzision. Unverkennbar ist sie da Meisterschülerin von Katharina Fritsch. Deren Ästhetik von Riesenratte und Madonnenfigur hat Yvonne Roeb auf ganz eigene Art zu neuem Kunstleben geführt.

Untier? Kreatur? Chimäre? Blendling? Die Künstlerin fühlt sich dem Kreatürlichen verbunden, streut eine Prise Schwarz-Humor ein: Ich mag Tiere. Ihren KÄFER von 2009 hat sie auf den Rücken gedreht, ihre MATERIA PRIMA stellt sie als Wirbelsäulen-Rippe vor. Fehlt nur noch die Schauder-Schauer-Grinsekatze aus Alicens Wunderland. Hingehen? Hingehen! Und Aushalten!